10.000m und das Fazit (Der 4. Tag) - „Der Höhepunkt zum Schluss: Was geht noch über 10.000m?“
Nudeln ohne Ende und Bilder der vergangenen drei Tage - die Nudelparty war am Samstag Abend die richtige Einstimmung für den letzten Tag des Läuferzehnkampfs. Der Muskelkater hält sich weiter in Grenzen, lediglich das Wetter spielt nicht mit. Selbst die Frauen müssen in ihrem Lauf um 9 Uhr bereits leiden - und wir starten mit dem letzten Lauf um 12:30 Uhr. Mit etlichen Verzögerungen wird es sogar erst 12:56 Uhr. Die Sonne knallt.
10.000m - Ein heißer Abschluss
Wieder steht für mich die Frage im Raum, was unter dieser Vorbelastung noch möglich ist. Die Prognose steht bei 36:30, die Bestzeit aus Engers bei 36:10. Und der Kopf? Der träumt von der sub36. Mit Sven Schreiber einige ich mich aber darauf, auf 36:30 anzugehen.
Nach dem Startschuss spurten wieder alle davon. Bei dem großen Starterfeld ein riesiges Durcheinander. Ich schnauze die anderen an, etwas ruhiger zu machen. Bei 10.000m muss man doch nicht in der ersten Kurve einen Sturz riskieren. Aber wie das so ist, weiß das Gros der Läuferschaft nicht, sich die Distanz richtig einzuteilen. Einzig Sven erkennt früh, dass die 36:30 für ihn bei dem Wetter nicht drin ist, und hängt leider nach der ersten Runde schon zurück.
Ich absolviere von Anfang an das übliche Prozedere bei dem Wetter: Bis zu drei Schwämme pro Runde, um Kopf, Nacken und Beine etwas zu kühlen, und dazu wieder die eigenen Trinkflasche, dieses Mal mit einem Dextro-Energy-Drink gefüllt. Schnell klebt das ganze Shirt am Körper - die einzige Möglichkeit sich bei über 25 Grad über die Runden zu retten. Wichtiger für das Tempo ist da lediglich die Gruppe. Vor allem mit Pawel mache ich gemeinsame Sache. 1:26, 1:27 ist der gewünschte Runden-Schnitt. Am Anfang läuft es gut, die ersten beiden Kilometer perfekt im Soll. Nach und nach schieben wir uns gemeinsam vor, nehmen den nächsten in die Gruppe auf, bevor auch der hinten herausfällt. Ich habe dabei sogar so viel Luft, dass ich halbe Gespräche führen kann (halbe, weil lediglich ich rede). "Bleib dran! - Geh du mal nach vorn. - Zieh mit! - Ich hole mir trinken, zieh du eine Runde." - Es läuft rund.
Bald haben wir aber auch den letzten übermütigen Starter eingeholt. Vor uns ziehen nur noch in grandioser Manier der spätere Gesamtsieger Tim Herold (34:10,06) und kämpfend Verfolger Robin Schade ihre Kreise. Kurz darauf bin ich aber auf mich alleine gestellt. Etwa fünf Kilometer hat Pawel mitgehalten, bis auch er dem Wetter klein beigeben muss. Die 5er-Marke passiere ich in 18:16. Durchhalten für 36:30!
Gefühlt wird es schwer. Immer schwerer, von Runde zu Runde. Die Hälfte ist geschafft und dennoch zieht es sich. Schwämme, trinken. Ablenken. Anstatt auf die Uhr zu schauen (da wird nur brav jede Runde abgedrückt), verschaffe ich mir Platz "Bitte Innenbahn frei." - doch auch die Luft wird dünner. Bald kommt nur noch ein gequältes "Achtung!" heraus. Kilometer 6, 7 und 8 passiere ich im 3:40er-Schnitt. Es ist hart. Über meine Lippen kommen nun hauptsächlich persönliche, verbale Arschtritte. Bloß nicht nachlassen. Zwei lächerliche Kilometer.
Was dann passiert, bereitet mir auch beim Schreiben des Berichts noch eine Gänsehaut. Plötzlich taucht wieder Pawel vor mir auf, fast langsam auf der zweiten Bahn trabend. Er schaut sich zu mir um und setzt sich wie selbstverständlich vor mich und zieht an. Sofort verstehe ich, was er will. Er rettet mich, will mich noch einmal ziehen. Die Luft ist wieder da. "1:27er-Runden" rufe ich ihm noch einmal zu. Er zieht mich, gibt mir noch einmal Kraft. 1:26. Nochmal ein großer Schluck, eine zweite Runde von ihm ziehen lassen, bis ich ihn mit bestem Dank verabschiede.
Jetzt wird gebissen und gekämpft. Vor mir taucht Robin Schade auf - der noch um den Gesamtsieg kämpft. Gut sieht er nicht mehr aus, aber ich schreie ihn an. "Lauf mit! Bleib dran, es geht um den Gesamtsieg für dich!" Doch es hilft nichts, er ist fertig mit der Welt. - Ich hingegen noch lange nicht. Ein letzter Kilometer. Ein Blick auf die Uhr. Ich weiß nicht mehr, ob ich die Zahlen realisiere. Ich glaube nicht, denn ich hätte nicht daran geglaubt. Stattdessen bin ich einfach gerannt, gerannt, gerannt.
Noch einmal den Weg freimachen, ein letztes Mal mit Schwämmen kühlen. Kurve, Gerade. Kurve, Gerade. 1:20er-Runde. Schlussglocke. Blick auf die Uhr, nichts denken, nur den Kopf schütteln, schreien und alles rausholen. Rennen, wie es kaum möglich ist. 400m-Schlussspurt. Die letzte Kurve. Auf die Zielgerade, mit riesigen Schritten dem zweiten Platz entgegen. Ein letzter Blick in Richtung Zieluhr. Ein Schrei. Noch ein Schrei. Und noch ein Schrei. Noch bevor die Uhr auf 36:00 umgesprungen ist, war ich auf der Ziellinie. Ganz sicher.
Es gibt Momente, da realisiert man nicht gleich, was man geschafft hat. Für mich war es hier sofort klar. Genießen. Glücklichsein. Ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ich feuere die anderen Läufer an, gratuliere den Finishern. Hüpfe quicklebendig umher. Irgendwann werden die ersten offiziellen Zeiten verkündet: 35:59,52. Ohne Worte. Im Vergleich hierzu waren die vorherigen neun Distanzen Kindergeburtstag.
Während des Rennens hatte ich nur wenig über die Zeit nachgedacht. Beim nachträglichen Betrachten der Zwischenzeiten, wollte ich den Zahlen aber nicht glauben. Die Hälften in 18:16 und 17:43 sind perfekt, aber zwei Kilometer vor Schluss noch auf 36:36er-Kurs zu sein, den letzten Kilometer in etwa 3:10 und die letzte Runde in 1:05 wegzurotzen, das kann ich mir selbst kaum glauben. Der größte Dank galt aber im Anschluss Pawel - ohne seine Unterstützung über die zwei Runden, das war mir sofort klar, hätte ich die sub36 ganz sicher nicht gepackt. Einfach so zum Edelhelfer - das ist Kameradschaft beim Läuferzehnkampf.
Siegerehrung - Ein sehr positives Fazit
Nach den letzten der insgesamt 45,6 Kilometer warm/auslaufen in diesen vier Tagen folgt die Siegerehrung. Mein 6. Gesamtrang und damit der 5. in der Altersklasse standen dabei bereits fest. Im Anschluss geht es mit allen Teilnehmern noch auf eine Ehrenrunde - Warmlaufen für den Läuferzehnkampf 2012 in Albi (bei Toulouse).
Für mich steht fest: Der Läuferzehnkampf war grandios. Natürlich, wer 9 Bestzeiten bei 10 Rennen in 4 Tagen läuft, kann nur zufrieden sein. Doch es stimmte auch das ganze Drumherum. Organisator Stefan Koch hatte mit seinem Team aus Mühlhausen alles im Griff und hat uns bestens versorgt. Die Statistiken und Prognosen von Uwe Warmuth - die vielen Zeiten zum Vergleichen und Rechnen: ohnehin genau mein Ding. Doch auch die ganze Truppe, die Teilnehmer - nach anfänglicher Zurückhaltung merkte man schnell, warum viele der Läufer hier Wiederholungstäter sind. Nicht nur wegen des tollen Wettkampfs, sondern auch wegen der Menschen, die hier sind.
Ich muss wohl nur schauen, wie man nun im nächsten Jahr bis nach Albi kommt.
Hannes Christiansen (www.laufhannes.de), 12.06.2011